Von der kindlichen Entwicklung
Vor einiger Zeit haben wir Samen für einen Weihnachtsstern geschenkt bekommen. Da die Kinder gleich begeistert waren, haben wir die Samen liebevoll in die dazugehörige Erde gesteckt und jeden Tag gegossen. Nach einigen Tagen fingen kleine Stecklinge an, sich zu zeigen. Ganz langsam und zart. Irgendwann kamen die Kinder enttäuscht zu mir: "Warum wächst die Pflanze nicht schneller? Wir haben sie doch jeden Tag gegossen?" Schmunzeln antwortete ich: "Blumen wachsen nicht schneller, wenn man daran zieht!" Es ist eines meiner Lieblingssprichwörter - wie oft habe ich es mir als Mutter selber sagen müssen, wie oft habe ich es meinen KursteilnehmerInnen gesagt und nun zu meinen Kinder 
.
Die kindliche Ungeduld kann ich verstehen, aber woher kommt die Ungeduld bei uns Eltern? Warum vergleichen wir uns oft mit den Anderen und zeigen nur unsere Schwächen anstatt unsere Stärken auf? Ich kann mich noch gut daran erinnern - als mein größtes Kind noch klein war, ging ich zur Babymassage und in eine Krabbelgruppe. Der Austausch mit den Müttern interessierte mich sehr, schließlich war ich auf dem Gebiet ein absoluter Neuling. Doch zunehmend ertappte ich mich, mein Kind mit den Anderen zu vergleichen. Ist mit meinem Kind alles in Ordnung, entwickelt es sich altersgerecht? Warum schlafen die Anderen schon durch? Und warum kann sie noch nicht sitzen??? Zum Schluss fühlte ich mich als junge Mutter unwohl und bin nicht mehr zu der Krabbelgruppe gegangen. Noch Jahre später habe ich mich darüber geärgert, dass ich mich selber so unter Druck gesetzt habe. Denn schließlich entwickelte sich meine Tochter so wie sie es wollte - in ihrem Rhythmus.
Beim zweiten Kind konnte ich damit gelassener umgehen. Einerseits durch meine Ausbildung als Familienbegleiterin, andererseits durch die Erfahrungen mit meiner Tochter. Inzwischen sind viele Jahre vergangen - rückblickend muss ich sagen, haben sich beide Kinder ganz unterschiedlich im Tempo entwickelt. War eines meiner Kinder ein "Sprachgenie", war das andere Kind motorisch gut unterwegs. Inzwischen reden und bewegen sich die Beiden altersentsprechend und manchmal mehr, als mir lieb ist..
Jeder Mensch (ebenso wie jede andere Lebensart auf dieser Welt) ist einzigartig. Wächst Kresse innerhalb von einigen Tagen, brauchen Blumensamen eben etwas länger. Wichtig ist nur, dass sie eingebettet in guter Erde wachsen können und regelmäßig gegossen werden. So wie unsere Kinder auch. Lassen wir sie in Sicherheit und Geborgenheit wachsen - wir gießen sie mit unserer Liebe, unserer Achtsamkeit und unserem Respekt. Irgendwann werden wir auf unsere Kinder schauen und erstaunt sein, wie stark sie gewachsen sind.
In meinen Kursstunden versuche ich die Eltern zu stärken und zu erklären, wie wichtig es ist, dass Kinder sich selber ausprobieren dürfen. Mit jeder eigenständigen Bewegung, die Euer Baby übt, trainiert es seine Muskulatur und sein Gehirn - immer abgestimmt auf die Entwicklung, in der es sich gerade befindet. Ihr müsst Euren Kinder nicht das Sitzen, Kriechen oder Gehen beibringen – vorausgesetzt Euer Kind kann entsprechend seiner Entwicklung trainieren, wird es sich selber diese Fähigkeiten aneignen. Es lernt nach dem Ursache– Wirkung – Prinzip. Im gemeinsamen Spiel wird Euch Euer Kind beobachten und nachahmen. Versucht auf Euer Gefühl zu hören und feinfühlig wahrzunehmen, was Euer Kind braucht und was es wiederum von allein schaffen kann. Genießt einfach jeden aktuellen Entwicklungsschritt (auch wenn er noch so klein ist 
) von Euren Kindern.
Und wie ist es mit meinen Kindern und den Samen weitergegangen. Kurz vor Weihnachten war unser kleiner Weihnachtsstern schon 3 cm groß und versuchte zaghaft die ersten Blätter hervorzubringen. Bestimmt wird er zum nächsten Weihnachtsfest uns mit roten Blättern erfreuen.
Es ist nun einmal im Leben so:
Zitat
Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Afrikanisches Sprichwort
Eure Sabine
